Kirche bleibt im Dorf – Bistum Essen lobt Konstrukt in Serm

Die Kirche Herz-Jesu in Serm hat einen neuen Eigentümer, ist aber weiterhin ein Gotteshaus. Archivfoto: sam
Die Kirche Herz-Jesu in Serm hat einen neuen Eigentümer, ist aber weiterhin ein Gotteshaus. Archivfoto: sam

Der Förderverein der Kirche Herz-Jesu in Serm hat „Deutschlands erste öffentliche Kirche in privater Hand“, wie es Vereinsvorsitzender Michael Germ ausdrückt. NORDBOTE hat mehrfach und meistens exklusiv über die einzelnen Schritte berichtet (von der Schlüsselübergabe bis hin zur Unterschreibung der Verträge fürs Gemeinde- und Pfarrhaus) – nun lobt das Bistum Essen in einer Pressemitteilung das Konzept.

Zu hohe Kosten, zu wenig Personal – die Pfarrei St. Judas Thaddäus im Bistum Essen beschloss 2018, die Kirche in Serm schließen. „Die Landwirtin Marlies Schmitz ist eine der Mütter der Fördervereins-Lösung. Kurz nach der Schließungs-Entscheidung habe man seinerzeit bei Schmitz am Küchentisch gesessen und überlegt, wie es nun weitergehen soll“, erinnert sich Heide Apel, die damals mit dabei war. Man wollte die Kirche erhalten – aber von Protestideen habe man sich schnell verabschiedet.

Stadtdechant Andreas Brocke, Monika Simon, Michael Germ, Ruhr-Bischof Dr. Franz-Josef Overbeck und Marlies Schmitz (von links) freuten sich im September 2024 über die erfolgreichen Vertragsverhandlungen. Archivfoto: sam
Stadtdechant Andreas Brocke, Monika Simon, Michael Germ, Ruhr-Bischof Dr. Franz-Josef Overbeck und Marlies Schmitz (von links) freuten sich im September 2024 über die erfolgreichen Vertragsverhandlungen. Archivfoto: sam

„Ziel war eine konstruktive Lösung, ein Konsens-Modell“, sagt Germ, der mittlerweile Ruheständler ist und sein Berufsleben im Umfeld von Rechtsanwaltskanzleien und Notariaten verbracht hat. Dieses Verständnis für Verträge und Verhandlungen sei Gold wert gewesen. Denn auf die erste „Wir übernehmen unsere Kirche“-Idee folgten jahrelange Planungen, Überlegungen, Entwicklungen – und vor allem viele, viele Gespräche.

Zunächst mit der Pfarrei, die die Kirche ja eigentlich schließen will – und in deren Kirchenvorstand Germ damals saß. Das Bistum vermutet: „Vielleicht ist dies eines der Erfolgsgeheimnisse in Serm: Es geht dort selten `wir gegen die´, stattdessen ist die gemeinsame Lösung – der Konsens – für die Menschen im Förderverein oft das wichtigste Ziel.“

Das Kirchenretter-Team in Serm ist groß, engagiert und erfolgreich. Archivfoto: sam
Das Kirchenretter-Team in Serm ist groß, engagiert und erfolgreich. Archivfoto: sam

Jetzt gebe es eine Win-win-win-Situation: Der Förderverein betreibe eigenständig die Kirche – zusammen mit dem Gemeindeheim und dem ehemaligen Pfarrhaus nebenan –, die Pfarrei sei die finanzielle Last der Immobilien los und habe dennoch einen funktionierenden Gottesdienststandort in ihrem Sprengel.

Die Aufsichtsgremien im Bistum Essen seien ebenfalls zufrieden mit dieser innovativen Lösung, wohl auch, weil Pfarrer Andreas Brocke weiter der Rektor von Herz-Jesu bleibt und notfalls eine missliebige Nutzung der Kirche untersagen könnte, wenn womöglich einmal ein neuer Fördervereins-Vorstand andere Pläne hat. Zugleich betonen Pfarrei und Bistum: Die in Serm gefundene Lösung ist ein maßgeschneiderter Einzelfall, der sich nicht ohne Weiteres auf andere Kirchen übertragen lässt.

Im September 2022 übergab Pfarre Roland Winkelmann den Kirchenschlüssel symbolisch an Michael Germ. Archivfoto: sam
Im September 2022 übergab Pfarrer Roland Winkelmann den Kirchenschlüssel symbolisch an Michael Germ. Archivfoto: sam

Doch in Serm, da scheint er zu funktionieren. Und das liege vor allem an den Menschen dort. „Hier wird die Pastoral vollständig von Ehrenamtlichen gemacht“, sagt Brocke. „Als Mitglieder des Pastoralteams kommen wir ab und an hierher und feiern Taufen oder Trauungen, die Erstkommunion oder andere Messen zu besonderen Anlässen – aber wir machen hier in der Regel nur noch die Dinge, die von einem Priester oder Diakon übernommen werden müssen.“

Trotzdem ist Brocke in Serm präsent, komme zum Gemeindefest, zum Karneval und zum Totengedenken an Allerheiligen. Diese Verbindung zur Pfarrei, die sei allen hier wichtig.

Die Kirche wurde nicht profaniert, also entwidmet. Sie darf weiterhin als Gotteshaus genutzt werden, obwohl sie einen neuen Eigentümer hat. „Die ganze pastorale Arbeit liegt in den Händen von Marlies Schmitz und Monika Simon, unterstützt von Helferinnen und Helfern“, hebt Heide Apel hervor. Mehrmals in der Woche werden Wortgottesdienste gefeiert.

Entscheidungsfreiheit für Ehrenamtliche

Aber die inhaltliche und organisatorische Arbeit, die erledige der Förderverein. 15 Menschen gehören dort zum harten Kern, so wie Germ als Vorsitzender, Marlies Schmitz und Monika Simon im Bereich Gottesdienste und Heide Apel für die Öffentlichkeitsarbeit. Weitere Menschen kümmerten sich zum Beispiel um die Vermietung im Gemeindeheim, die Gestaltung des Programms für Familien oder die Finanzen des Vereins.

Germ nennt diese verschiedenen Bereiche die „Säulen“ des Fördervereins und betont: „Wer bei uns eine der Säulen leitet, entscheidet dort frei. Die Leute können sich in ihren Säulen also selbst verwirklichen.“

Auch Spendenessen helfen, die Kasse des Fördervereins aufzufüllen. Archivfoto: privat
Auch Spendenessen helfen, die Kasse des Fördervereins aufzufüllen. Archivfoto: privat

Der Vorsitzende weiß, dass dieses große Vertrauen in die eigenen Leute den Sermer Verein von vielen anderen ehrenamtlich getragenen Gruppen, Clubs und Verbänden und manchen Unternehmen unterscheidet. Er vermutet, dass sie in Serm auch deshalb keine Nachwuchssorgen haben. Ihr 15-köpfiges Kernteam umfasst Menschen ab einem Alter von 40 Jahren. Rund die Hälfte seien Ruheständler, die anderen engagierten sich neben ihrem Hauptberuf für Herz-Jesu, das Herz ihres Dorfs.

Und sie seien längst nicht allein. Als kürzlich etwas an der Kirche kaputt war, kamen nicht nur Handwerker mit einem Kran, sondern auch viele fleißige – und fachkundige – Hände, um mit anzupacken. Wenn der Förderverein rufe, ist „Kappesserm“ auf den Beinen, und das nicht nur zum Arbeiten: In der Kirche gibt’s neben den Gottesdiensten immer mal ein Konzert, im benachbarten Gemeindeheim lädt der Verein zum Quizabend oder zur Kinderdisco …

„Dieser Ort hat eine starke Identität“, sagt Brocke, „die Leute hier erleben, dass sich der Förderverein um sie kümmert.“ Germ ergänzt: „Die Menschen haben verstanden, dass es nicht nur der Förderverein ist, der etwas tut, sondern auch die Kirche.“

Bei Rockkonzerten in der Kirche Herz-Jesu geht es laut und fröhlich zu. Archivfoto: sam
Bei Rockkonzerten in der Kirche Herz-Jesu geht es laut und fröhlich zu. Archivfoto: sam

Zudem laufe dieses innovative Konstrukt auch finanziell: Eine Rücklage von 200.000 Euro will der Verein bis Ende des Jahres angespart haben, um auch künftige Reparaturen an der Kirche finanzieren zu können. „Das schaffen wir“, sagt Germ. Und anschließend werde eine ähnliche Rücklage für das Gemeindeheim angespart.

Mieten – zum Beispiel der Stadt, die das Gemeindeheim werktags für den Offenen Ganztag der Grundschule nutzt – und die Beiträge der rund 420 Vereinsmitglieder sorgen nicht nur für ein entsprechendes Polster, sondern auch für weitere Finanzierungsmöglichkeiten. „Wir unterstützen alle Gruppen, die hier im Dorf aktiv sind“, so Germ.

So gab’s zuletzt 150 Euro für Weihnachtsplätzchen für Senioren sowie einen Zuschuss für die örtliche Pfadfindergruppe. Und wenn es demnächst finanziell doch mal eng werden sollte, geht Germ mit seinem Vereinsvorstand wieder auf Werbetour. Dabei gehe es nicht nur um Geld für die Vereinskasse, sondern auch um die Statistik: „Wir wollen natürlich der größte Verein in Serm werden“, so schmunzelt Germ.

Noch zähle die Karnevalsgesellschaft wohl ein paar Mitglieder mehr. Aber das sei in Serm vor allem Dorf-Jux. Viele seien sowohl im Förderverein als auch beim Karneval und bei den Schützen.

Auf der Internetseite des Fördervereins www.kirche-serm.de sind sowieso alle Vereine aufgeführt – schließlich drehe sich das Engagement aller um ihr gemeinsames Dorf.

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