Die Zeit der Blütenträume

Die Narzisse bringt Farbe und Frühlingsstimmung in Gärten und Parks. Archivfoto: ah
Die Narzisse bringt Farbe und Frühlingsstimmung in Gärten und Parks. Archivfoto: ah

Es geht doch nichts über die Frühlingszeit! Ringsum blüht neues Leben in der Natur auf. Sei es im Nordpark, am Rheinufer bei der Kaiserpfalz, in den Angerauen oder an der Sechs-Seen-Platte, allerorten erfreut uns eine selten üppige Blütenpracht. Ihr Anblick lässt uns die weltweiten Sorgen und Klimanöte für Momente vergessen.

Sei es auch nur für einen kurzen Spaziergang, in diesen Tagen lädt die Natur wunderbar ein zum Träumen, zum Innehalten, sogar zu Gedankenspielen. Letzteres gilt jedenfalls für solche Wortmenschen wie meine liebe Frau und mich. Wie wohltuend und anregend solch reale Blütenträume für die Phantasie sind, zeigt sich bei uns schon in der Lust an Sprachspielen mit den Pflanzennamen. Wie zum Beispiel die Krokusse bei uns zu Kroküssen werden, bekommen auch die Narzissen, die Magnolien, die Forsythien (bzw. Forsythia zum Training unseres Cambridge English) und die blühende Japankirsche spielerisch neue Namen.

Die ersten gelb leuchtenden Narzissen haben mich in diesem Jahr gleich zweifach zum Nachdenken gebracht. Zum einen sehe ich in ihnen einen löblichen Beitrag zur Verschönerung des Landschafts- und des Städtebilds. In privaten Vorgärten und auf Balkonen blühen sie ebenso wie an öffentlichen Straßen, Plätzen und in Parks um die Wette. Zum anderen fällt mir die Nähe der Wörter Narzisse und Narziss sowie die kuriose Mehrdeutigkeit ihrer Verwendung im Plural auf. Klar, bei der Narzisse handelt es sich um eine Pflanzengattung innerhalb der Familie der Amaryllisgewächse, bei aller Schönheit also nur um eine neutrale botanische Bezeichnung. Mit Narziss (oder Narzisst), einem nach dem in sein Selbstbild verliebten Jüngling der griechischen Sage benannten Menschen, ist dagegen eher abfällig jeder gemeint, der mit seinem Selbstbild und Selbstlob prahlt.

Im Plural werden beide zu Narzissen. Das bedarf einer kleinen Klarstellung: Als löblich und allgemeine Freude spendend empfinde ich von beiden Narzissen-Arten natürlich nur die pflanzlichen. Menschliche Narzissen hingegen erfüllen, vor allem in den sozialen Medien, nur den Zweck der Selbstdarstellung und -bewunderung.

Haben die freudebereitenden Blütenträume der Natur jeweils ihre Zeit, im März und im April, so kennen die menschlichen Blütenträume des Selbstlobs gar keine zeitliche Begrenzung. Sie sprießen, vor allem in den sozialen Medien, das ganze Jahr über. Auch rufen sie statt Freude eher Mitleid hervor, jedenfalls bei mir.

Eine Glosse von Dr. Hans-Otto Schenk

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